Seit der Rückkehr aus den Philippinen kreisten sich meine Gedanken Tag und Nacht. Ich verstand nicht wirklich, was vor sich ging. Ich konnte Nachts nicht mehr schlafen und hatte diese für mich nicht identifzierbaren Bilder. Da ich mein ganzes Leben lang immer alles alleine gelöst habe, dachte ich, das wird mir auch diesmal wieder gelingen. Oder es regelt sich wieder von selbst. Doch es wurde nur noch immer schlimmer.
Während des Tages hatte ich in meinem Job zu funktionieren. Der Kreis drehte sich aber immer schneller. Durch zu wenig Schlaf wurde ich extrem sensibel. Ich hatte plötzlich so eine Nervosität in mir drinnen. Ich war rastlos. Gleichzeitig war ich extrem müde. Jedes Geräusch wurde zur Sinnesüberflutung. Die Angstzustände nahmen zu. Ich hatte das Gefühl, immer wachsam sein zu müssen, da überall Gefahr lauerte, besonders auch in der Nacht. Ich fühlte mich so machtlos gegenüber diesem riesigen Schmerz und gleichzeitig fühlte es sich wie eine unendliche taube Leere an. Ich war mit allem so überfordert und konnte mir das alles nicht erklären.
Ich bin verzweifelt, Herr, mach mein Leben wieder heil, wie du es versprochen hast!
Psalm 119,107
Gott fühlte sich in dieser Zeit so weit weg an. Ich schrie zu ihm und hörte sein Reden nicht. Ich fühlte mich wie in der Antarktis inmitten einer riesigen Eiskälte und ohne Schutz. Umso mehr ich Antworten suchte, umso heftiger wurde das Ganze. Meine Herz und Seele fühlten sich so unruhig an wie das Meer im Sturm an und als hätten sie allen Mut verloren [Jeremia 49,23].
Ich war manchmal so hibbelig, dass ich es selbst kaum in meinem eigenen Körper aushielt. Es gab Momente, wo die Oberflächen meiner Haut wie elektrisch aufgeladen waren, so dass jede Berührung weh tat. Heute habe ich die Erklärung dazu gefunden: Hypervigilanz. Doch das wusste ich dazumal nicht.
Es kamen alte Muster hoch, die ich doch eigentlich überwunden hatte, glaubte ich jedenfalls. Wenn der Schmerz zu gross war, hatte ich wieder begonnen, mich selbst zu verletzen, um ein Ventil zu haben. Wenn ich gar nichts mehr fühlte, tat ich mir auch weh, um mich überhaupt irgendwie in dieser Verzweiflung spüren zu können. Ich hatte das Gefühl, meinen Körper, meine Seele und meinen Geist nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Ich wollte nicht allein sein und gleichzeitig ertrug ich keine Menschen mehr in meiner Nähe. Stillsein war der blanke Horror und zugleich hatte ich keine Kraft mehr, mich zu bewegen.
In meinem Umfeld bekam niemand wirklich mit, was effektiv los war. Ich hatte Angst, niemand würde mich verstehen und ich würde andere nur überfordern. Meine Identität und mein Herz waren in Tausend Stücke zersplittert, ohne wirklich zu verstehen, was überhaupt mein Problem war. Die Bilder, sogenannte Flashbacks, halfen mir im ersten Moment nicht, sie machten mir nur noch mehr Angst. Ich war wie blockiert, mit einer grossen Mauer, die ich nicht durchdringen konnte. So ging das über Wochen seit der Heimkehr.
Eines Morgens, Monate später, als ich morgens ins Büro fuhr, war ich nur am Heulen. Instinktiv wusste ich, ich würde zusammenklappen. So kann es nicht mehr weitergehen. Also rief ich bei meinem Hausarzt und bat um einen dringenden Termin. Auf die Schnelle war dies nur bei seiner Frau möglich, auch Ärztin. Ich weiss noch, auf dem Weg dahin, weinte ich, und schrie zu Gott, mir zu helfen. Ich sehnte mich so nach Erlösung.
Gott hatte alles fest in seinen Händen. Meine neue Ärztin war ein Geschenk, denn sie verstand sofort, als ich wie ein Haufen Elend vor ihr sass, was los war. Sie hatte die Situation gleich richtig eingeordnet, dass eine Re-Traumatisierung hier im Gange war. Als erstes war es ihr wichtig, mir Druck zu nehmen. Einzig, sie bestand darauf, dass ich sofort Hilfe in Anspruch nahm. Beim Trauma sei jedoch das Vertrauen in die Fachperson am Wichtigsten. So überliess sie mir den Weg dazu – welch Gnade!
Mit 💛lichem Dank für das Titelbild an Jill Wellington, pixabay.com [Website Link]