Ich freute mich auf die Philippinen, die einwöchige Missionsreise und vor allem darauf, die Kinder sowie die Menschen, die ich lieb gewonnen hatte, wieder zu sehen. Ich hatte drei Jahre zuvor auf Gottes Wunsch hin bereits ein Praktikum bei Metro World Child* gemacht. Diese Zeit war für mich eine meiner intensivsten und wertvollsten Zeiten, obwohl ich jeden Tag über das Schicksal der Kinder weinte und mit dem Auftrag völlig überfordert war. Ich fühlte mich in diesen Momenten Gott so nah wie nie zuvor. Er hatte mein Herz für die Kinder und für die Not komplett verändert. Ich, die nie eigene Kinder und nie mit Kindern etwas zu tun haben wollte. Er hatte mein Herz aus Stein in ein Neues verwandelt [Hesekiel 11,19].
Am ersten Tag dieser Tour starteten wir in einem der ärmsten Viertel namens Happyland**. Mitten in diesem Elend sind wir relativ früh einer Familie mit einem aufgestellten Sarg begegnet. Darin lag ein Mädchen, welches an Masern gestorben war. Sie erklärten uns, dass die Familie beim Glückspiel versuchte, das Geld für die Beerdigung zu gewinnen, weil sie keines hatten… Ich konnte es nicht einordnen, aber bei diesem Anblick wurde plötzlich mein Innerstes getroffen. In diesem Augenblick ist mein Herz zerbrochen, alle Mauern wurden erschüttert. Ich verstand nicht, was los war. Der restliche Tag fühlte sich wie Watte an und ich versuchte, es so gut wie es ging, den Tag einfach zu überstehen. Ich wollte nur noch zurück ins Hotel und endlich meinen Tränen freien Lauf lassen.
Ich schlief die Nacht kaum, auch folgende nicht mehr. Meine Qual wurde immer schlimmer. Ich fühlte mich so aufgewühlt. Am Tag versuchte ich auf irgendeine Weise zu funktionieren. Gleichzeitig empfand ich durch diese Verletzlichkeit eine noch stärkere Verbundenheit und Liebe zu den Kindern und Menschen. Es war als hätten sich all die gebrochenen Herzen und Wunden mit meinem Herzen und meinen Wunden verbunden. Dann fühlte es sich wiederum an, wie ich alles um mich herum und auch die Menschen nur noch aus Distanz wahrnehmen konnte. Am liebsten hätte ich alles abgebrochen und wäre so schnell wie möglich nach Hause gereist. Doch ich musste durchhalten und versuchen, mir nichts anmerken zu lassen. Nachts schrie ich zu Gott, mir zu helfen, weinte mir die Seele aus dem Leib und versuchte mich gleichzeitig mit Worship zu beruhigen.
Ende der Woche waren wir nochmals im Happyland** und sind wieder der Familie begegnet. Eine andere Teilnehmerin aus der Gruppe hatte die Beerdigung bezahlt. Um der Familie die letzte Ehre zu erweisen, sollten wir uns alle einzeln beim Sarg vom Mädchen verabschieden. Dieser Augenblick und ihr Gesicht ist bis heute tief in meinem Gedächtnis eingebrannt. Ich erinnere mich an alles bis ins Detail, die dürftige Beleuchtung, die Gerüche nach Essen, Abfall und anderem, die vielen Geräusche, wie ich vor diesem Sarg stand, das wunderschöne tote Mädchen ansah und wie mir in diesem Moment die Erkenntnis ins Gesicht schlug: Ich war in ihrem Alter gestorben, nicht physisch, aber emotional. Ich war innerlich wie erstarrt, gleichzeitig komplett gebrochen. Ich spürte nur noch diesen unendlich tiefen Schmerz über eine abgespaltene und verschlossene Tatsache und mein Herz wurde in tausend Stücke gerissen.
Diese Wahrheit war einfach plötzlich so klar da, als wäre sie es immer gewesen. Es gab keine Zweifel daran, obwohl ich mir es überhaupt nicht erklären konnte. Ich spürte immer, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, aber ich konnte es nie so richtig einordnen. Tief in meinem Innern gab es etwas, dass ich mit niemandem teilen konnte, aber mir fehlten die Details. Mein Leben lang begleitete mich eine Angst vor etwas, das ich nie fassen konnte.
Auf dem Heimflug meinte meine Reisebegleiterin, dass sie denke, ich sollte mal genauer hinschauen und vielleicht Hilfe in Anspruch nehmen. Auch sie hatte bemerkt, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich wusste, sie hatte recht, ich musste etwas tun, wenn ich nach Hause kam.
Er hat die Macht des Todes gebrochen und mit der guten Botschaft den Weg zum ewigen Leben ans Licht gebracht.
2. Timotheus 1,10




*Metro World Child ist eine humanitäre Organisation, die sich auf dem Glauben basierend dem Dienst an benachteiligten Kinder, weltweit, verschrieben hat. Indem sie das Evangelium weitergeben, Gottes Liebe zeigen und Nöten begegnen, können sie dazu beitragen, den Kreislauf der Armut zu durchbrechen, Hoffnung zu schenken, Zukunft zu schaffen und Kindern die Möglichkeit zu geben, von der Strasse zu kommen. metroworldchild.ch
**Happyland ist eines der ärmsten Slums der Tondo Gegend in der Hauptstadt Manila, Philippinen. Der Name hat nichts mit Freude zu tun, sondern kommt von der Übersetzung aus der Sprache Bisaya und steht für Müllkippe. Es leben mehr als 12’000 Menschen in Unterständen in diesem Elendsviertel.
Mit 💛lichem Dank für das Titelbild an Jill Wellington, pixabay.com [Website Link] und für Mission Trip Bilder an metroworldchild.org [Website Link]