Ketten und Fesseln sprengen

Seit dem schrecklichen Amoklauf im Olympia Einkaufszentrum in München sind bereits fünf Jahre vergangen sowie, 20 Jahre seit dem Zuger Attentat. In Gedenken interviewten sie im Fernsehen Betroffene und Überlebende, sie fragten sie, wie es ihnen seither ergangen war. Ich bin noch immer etwas vorsichtig, wenn ich mich mit Trauma-Situationen konfrontiere, da ich nie weiss, wie fest bei mir damit Trigger ausgelöst werden. Das ist nicht so richtig steuerbar, bis heute nicht, und kommt manchmal sogar ganz unerwartet in Situationen, in denen ich es nicht gedacht hätte.

Diese Menschen zu sehen und zu hören, was es mit ihnen seither gemacht hat, hat mich zutiefst im Innern erschüttert. Es hat sich wie tonnenschwere Ketten angefühlt, die sie seit diesem Tag mit sich tragen. Ein Mann erzählte, dass er nur dann für einen Moment Ruhe findet, wenn er an den Ort des Geschehens zurückkehrt… das alles hat mich zum Weinen gebracht. Ich kenne diese Last. Gleichzeitig hat es mich dankbar gemacht, dass ich so viel Heilung bis heute mit der Hilfe von Jesus erfahren durfte.

Die Psychologin, Maya Hässig, erklärte in der SRF Dokumentation Der Amoklauf im Zuger Kantonsparlament vom 13.09.2021 [YouTube Links, Auszug Zeit 1:28:15]: „Ganz ganz wichtig finde ich, dass man den Menschen in seiner Verletzung wahrnimmt. In seiner medizinischen Verletzung, in seiner Integrität und in seiner seelischen Verletzung. Es gibt nichts Demütigenderes, aber wirklich nichts, als einem Menschen, der schwerst traumatisiert ist, zu sagen, du wirst wieder der, der du warst. Es gibt kein anderes Leben. Es gibt nur ein neues Leben. Das alte ist vorbei. Definitiv vorbei.“

Ich weiss aus eigener Erfahrung, wenn man sich dem Trauma stellt, wird es zuerst definitiv nicht besser. Im Gegenteil, es wird sehr viel schlimmer, wenn alles wieder hochkommt – und das dauert. Es ist wichtig, das neue Leben zu wollen und sich das bewusst immer wieder zu sagen. Es braucht den Willen, in dieser Zeit durchzuhalten und weiterzugehen, nicht abzubrechen und wieder in der »alten« Schlaufe zu laufen.

Noch etwas Bedeutendes wurde mir bewusst: Es gibt für alles eine Zeit, wie schon Salomo im Prediger 3,1ff wusste: Eine Zeit für den Schmerz, für die Anklage, die Wut, für das Unverständnis, das Warum, eine Zeit der Trauer über das Geschehene… und dann kommt eine Zeit für das Wiederaufstehen. Es ist wichtig, sich eine Frist zu setzen – diese kann aber bei jedem ein anderer Zeitpunkt sein. Es braucht Kraft, sich ein Leben danach wieder aufzubauen und vorwärts zu gehen, um wieder mit neuer Hoffnung in die Zukunft zu blicken. Dazu braucht es auch Unterstützung von Fachpersonen im Bereich Trauma. Die Bereitschaft, sich das alles einzugestehen, ist der erste Schritt.

Ich habe euch das alles gesagt, damit ihr Frieden in mir habt. Hier auf der Erde werdet ihr viel Schweres erleben. Aber habt Mut, denn ich habe die Welt überwunden.

Johannes 16,33

Gott sandte seinen Sohn nicht in die Welt, um sie zu verurteilen, sondern um sie durch seinen Sohn zu retten [Johannes 3,16]. Jesus lässt uns in unseren Kämpfen nicht allein. Er kennt unseren Schmerz. Denn er hat diesen am Kreuz für uns getragen und den endgültigen Sieg errungen. Das Geheimnis, Frieden mit Gott zu finden, besteht darin, sein Timing für sich zu entdecken, zu akzeptieren und zu würdigen, im Wissen, wir kennen nicht das ganze Bild.

Mit 💛lichem Dank für das Titelbild an Public Domain Pictures, pixabay.com [Website Link]

Ein Gedanke zu “Ketten und Fesseln sprengen

  1. Schöne Zeilen Simi. Auch für mich eine aha-Erlebnis wo ich denke „ja, ich will Vorwärts kommen und nicht in einer endlose Schleife stecken bleiben. Danke 🙏

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